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POLONICA
Polnische Literatur in Deutschland 1990 - 2000

 

Die Mystik des Lebens

Gustaw Herling-Grudzinski: DAS VENEZIANISCHE PORTRÄT. Erzählungen. Übersetzt von Nina Kozlowski. Hanser-Verlag, München/Wien 1996.

Gustaw Herling (1919-2000) hieß eigentlich Gustaw Herling-Grudzinski und ist in Polen, wo er als einer der herausragenden Autoren der Nachkriegszeit gefeiert wurde, unter diesem Namen bekannt. Wie viele Schriftsteller seiner Generation stammte er aus den ehemals polnischen Ostgebieten, die seit 1945 zu Rußland gehören. Zur Problematik der Grenzverschiebung und der darauffolgenden Deportation der polnischen Bevölkerung schwieg Herling nie und konnte sich deshalb mit seinen kritischen Texten im kommunistischen Polen nicht durchsetzen. Als im Exil lebender Schriftsteller hatte er ohnehin nur schwer Zugang zu den Lesern in Polen, jahrelang blieb sein Werk ein Geheimtip. Erst seit der Wende 1989 genoß Herling auch in seinem Herkunftsland hohes Ansehen, und in den dortigen Verlagen sind seitdem ganze Reihen und selbständige Bände erschienen, die sein Leben und Werk vorstellen. Man darf aber nicht vergessen, daß Polens kulturbildende Kreise Herling nie mißachtet und die Entwicklung seiner literarischen Arbeit stets aufmerksam verfolgt haben. Das galt übrigens auch für viele andere Exilschriftsteller.
Herling lebte nach dem zweiten Weltkrieg kurz in England und Frankreich, um dann in Neapel seinen Platz zu finden. Die Kultur Italiens hatte ihm schon immer nahegestanden und wurde nun zu einem der wichtigsten Themen seiner Werke. War seine erste schriftstellerische Schaffensperiode noch charakterisiert durch den kritischen Umgang mit politischen Fragen, so markiert die Erzählung DER TURM den Anfang einer neuen Phase, die sein Lebenswerk geprägt hat: des "Mystizismus". Alle Erzählungen, die vom Hanser-Verlag in den beiden ausgestellten Bänden herausgegeben wurden, sind Beispiele für Herlings mystischer Dichtung.
Es handelt sich dabei aber keineswegs um phantastische Literatur. Der Autor will uns menschliche Schicksale mit all ihren unerwarteten und oft unerklärlichen Wendungen zeigen, er erzählt von der (oft dämonischen) Poesie des Lebens, betrachtet es von seiner dunklen Seite: "Ich bewunderte dieses Interview und konnte mich nicht satt lesen an den geschickten und intelligenten Seiltanzakten der Contessa, ihren fachkundigen Erwähnungen über die venezianisch-loretanische Malerei des Meisters, vor allem aber an ihrer Kaltblütigkeit. Ich, der ich - möglicherweise als einziger neben dem venezianischen Antiquitätenhändler Marini - die Wahrheit kannte und das Geheimnis tief im Herzen verborgen hielt, zerbrach mir den Kopf, woher diese gelähmte Frau die Kraft schöpfte, mit dem Feuer zu spielen. ... Das venezianische Porträt war in der Tat ein Meisterwerk. Wer weiß, ob Lotto etwas Ähnliches hätte malen können. Der Contessa ist es in ihrer Fälschung gelungen, zwei edle, unbeugsame, faszinierend schöne Gesichter des Bösen zu malen", schrieb Herling 1993 in der Erzählung DAS VENEZIANISCHE PORTRÄT.
Der Autor scheint seine Geschichten oft als Augenzeuge hautnah erlebt zu haben. Vielleicht behalten sie deshalb trotz ihrer Tragik oft genug einen letzten Funken Hoffnung in sich, auch wenn der Leser ihn erst entdecken muß - bei Herling ist nie etwas offensichtlich. Seine Sprache ist einfach und bilderreich zugleich, seine Erzählungen sind wie gute Lyrik: Mit wenigen Worten bringen sie die ganze Vielfalt des Lebens zum Ausdruck, und ihr eigentlicher Sinn sprengt den Rahmen des geschriebenen Textes. Diese Geschichten lassen den Leser, auch wenn er das Buch längst zugeklappt hat, nicht mehr los und machen süchtig nach mehr.

 

 

 

Gustaw Herning-Grudzinski
"Das Venezianische Porträt"


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