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POLONICA
Polnische Literatur in Deutschland 1990 - 2000

 

Der Provokateur und sein Werk

Witold Gombrowicz: GESAMMELTE WERKE. Romane, Dramen, Erzählungen, Tagebücher, Essays. Übersetzt von F. Bondy, R. Fieghuth, G. Haefs, C. Jelenski, O. Kühl, H. Kunstmann, R. Schmidgall, K. Staemmler, W. Tiel und Ch. Vogel. Fischer-Verlag, Frankfurt/M. 1998.

Witold Gombrowicz (1904-1969) galt seit der Veröffentlichung seines Erstlings PAMIETNIK OKRESU DOJRZEWANIA (1932) [JUGENDERINNERUNGEN, dt. 1933] als Rebell, als Autor, der ‚gegen den Strich' schrieb. Er kritisierte nicht nur die Gesellschaft, die jedem Menschen eine Rolle zuschreibt und erwartet, daß er sich ihr anpasst, sondern trat in seinen Texten auch gegen die Literatur und ihre Theorien auf. Er parodierte die literarischen Formen und vermischte nicht selten unterschiedliche Gattungen: So verwendet er im Monolog eines seiner Protagonisten im Drama DIE HOCHZEIT neben Prosa auch Gedichtformen.
Gombrowicz schrieb Romane ebenso wie Dramen, Tagebücher und Erzählungen. Zu seinen großen Themen gehörte die Suche nach der Authentizität, weshalb er sich intensiv mit der Problematik des Erwachsenwerdens auseinandersetzte. Zugleich beschäftigte ihn die Idee einer "Kirche der Menschen", in der die Menschen sich gegenseitig erschaffen, weshalb eine echte Individualität unerreichbar bleibt, egal ob sich das Individuum der Menge anpaßt oder sich ihren Erwartungen ständig widersetzt. In beiden Fällen nimmt es nämlich nach Gombrowicz' Meinung eine konkrete Position ein und spielt seine Rolle des Anpassers oder des Opportunisten.
Zur Umsetzung seiner Ideen in literarischen Werken wie Ferdydurke und Trans-Atlantik mußte sich Gombrowicz einer besonderen Sprache bedienen: Sie ist genau wie der Autor rebellisch, skandalös, anarchistisch, voll von Sinnlosigkeiten "verrückt, provokativ und philosophisch", wie es der polnische Nobelpreisträger Czeslaw Milosz formuliert. Dabei hielt sich Gombrowicz von akademischen Denkmustern fern und entwickelte seinen eigenen philosophischen Ansatz, der nicht selten mit Sartre in Verbindung gebracht wird, obgleich dieser sich erst nach Gombrowicz zu Wort meldete.
Gombrowicz verwendete alle Formen künstlerischen Ausdrucks und spielte mit ihnen, doch reine Lyrik war ihm zuwider. In seiner GESCHICHTE DER POLNISCHEN LITERATUR spricht Czeslaw Milosz vom "destruktiven Talent des Gombrowicz" und schrieb in einem seiner Briefe an den rebellischen Autor: "Sie haben sich erdreistet, eine brutale Attacke gegen die Dichtung und die Dichter zu reiten. Sie beleidigen die Gefühle Tausender, die Gedichte schreiben. [...] Sie untergraben die Fundamente der Arbeiter auf dem Felde der Kultur [...]. Dies alles könnte man Ihnen verzeihen, werter Herr, wenn Sie nicht recht hätten. Aber wenn Sie sagen, "daß fast niemand Gedichte mag und daß der ganze Bereich der Versdichtung Fiktion und Vortäuschung ist", haben Sie völlig recht".
Bei so viel Opposition gegen die vorgegebene Ordnung der Dinge innerhalb der Literatur und Gesellschaft verwundert es nicht, daß Gombrowicz sowohl in Polen als auch in den Kreisen der Exilschriftsteller, zu denen er seit 1939 lange gehörte, nicht allgemein anerkannt wurde. Doch er hatte auch Anhänger, vor allem unter jungen Intellektuellen, und avancierte bald zu deren Idol. Nach seinem Roman FERDYDURKE bildeten drei Töchter von Jaroslaw Iwaszkiewicz, einem der wichtigsten Vertreter der literarischen Zwischenkriegszeit und Mitbegründer der Gruppe Skamander, den Club der "Ferdidurkistinnen".
In der sehr informativen Begleitbroschüre zur 13bändigen Gombrowicz-Ausgabe des Fischer-Verlags lesen wir: "Der Ferdidurkismus ist nichts anderes als der Wille zum Schöpferischen, und ein Ferdidurkist ist, wer von der Kunst verlangt, daß sie ERSCHAFFE. Also verliert die Hoffnung nicht. Werden Sie Ferdidurkist!".
Der Taschenbuchedition bei Fischer ging die gewichtige Gesamtausgabe des Hanser-Verlags voraus, von der seit 1984 ebenfalls 13 Bände erschienen sind. Wem das zu viel (zum Lesen) oder zu wenig (zum Sattlesen) ist, der wartet auf eine neue Inszenierung von Theaterstücken Gombrowicz' auf deutschen Bühnen, denn dieser Autor ist - z.B. mit seiner Operette - kein seltener Gast auf der Programmliste hierzulande, ebensowenig wie in Polen und Frankreich, seiner Wahlheimat nach Argentinien. Mit Stanislaw Witkiewicz ("Witkacy") und Bruno Schulz bildet Gombrowicz das avantgardistische Dreigestirn der polnischen Literatur im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.

 

 

 

 

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